Richard Wildhagen (1890-1981)

Wohnhaus in der Kanzler-Stürtzel-Straße 2

Richard Wildhagen (geb. 10.1.1890 in Kitzingen, gestorben am 20. August 1981, verheiratet mit Hertha Wilhelmine Hedwig, Freiin Ebner von Eschenbach), Sohn des Bonbonfabrikanten Hermann Wildhagen, besuchte die königliche Realschule in Kitzingen und begann nach erfolgreichem Schulabschluss seinen beruflichen Lebensweg in der „Drogenhandlung Duvernoy Nachf.“ in Stuttgart sowie in der Schweizer „Bonbonfabrik J. Klaus“ in Le Locle, wo er sich das Fachwissen für seinen späteren Beruf aneignen konnte.

Nach dem Studium an der Handelshochschule in Berlin konnte er auf seinen Geschäftsreisen wirtschaftliche Erfahrungen gewinnen. Am Ersten Weltkrieg nahm Richard Wildhagen als Kavallerieoffizier der Reserve teil. Nach Kriegsende trat er in die elterliche Bonbonfabrik und die Pfirschinger Mineralwerke ein. Zwei Jahre später wurde er Gesellschafter der beiden Firmen und förderte in der Folgezeit tatkräftig die Modernisierung der Fabrikationsanlagen und die Erstellung bedeutender Neubauten.

 Stadtarchiv Kitzingen

1932 starb sein Onkel, der Geheimrat und Firmengründer August Wildhagen. Des Weiteren schied sein Vater Hermann aus der Firma aus, so dass Richard das Unternehmen „A. Wildhagen & Co. Bonbonfabrik Kitzingen“ ab 1934 alleine weiterführte. Eine Vielzahl neuer Aufgaben kam auf ihn zu, die er jedoch meistern konnte. Harte Schicksalsschläge trafen das Unternehmen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Die Pfirschinger Mineralwerke wurden beim Bombenangriff auf Kitzingen am 23. Februar 1945 vollständig zerstört. Die Bonbonfabrik und das Wohnhaus besetzten die Amerikaner. Erst nach langwierigen Verhandlungen gelang es Wildhagen, wesentliche Teile seines Betriebs wieder frei zu bekommen, so dass am 1. Juli 1949 die Produktion der Bonbonfabrik wieder beginnen konnte. Ein Teilbetrieb der Pfirschinger Mineralwerke konnte 1950 ebenfalls wieder mit der Produktion beginnen.

1960 erwarb Horst Bentz, Inhaber der Melitta-Werke in Minden, mehrere Süßwarenfirmen, darunter auch die „A. Wildhagen & Co. Bonbonfabrik Kitzingen“. Zu diesem Zeitpunkt stand dem Seniorchef Richard Wildhagen sein Sohn Hasso, der bereits 1939 in den elterlichen Betrieb eingetreten ist, als Juniorchef zur Seite. Alle Firmen blieben als Produktionsbetriebe bestehen, produzierten aber ausschließlich für die neu gegründete Firma „Feurich-Vertriebsgesellschaft mbH“ in München, später in Stuttgart/Obertürkheim. Da der erwartete Erfolg ausblieb, verkaufte Bentz 1963 die Bonbonfabrik Wildhagen an die Fa. August Storck.
Zum Jahresende 1969 musste Wildhagen die Produktion ganz einstellen.

 Stadtarchiv Kitzingen

Auf Grund seiner sozialen Einstellung nicht nur von der Belegschaft hoch geschätzt, engagierte sich Richard Wildhagen auch im öffentlichen Leben. Berufsständisch arbeitete er seit 1923 in verschiedenen Verbänden der Süßwarenbranche. 1949 wurde er zum Vorsitzenden des Verbands der deutschen Süßwarenindustrie gewählt. Dieses Ehrenamt übte er bis 1959 voller Elan aus. Trotz seines fortgeschrittenen Alters übernahm er anschließend den Posten eines stellvertretenden Vorsitzenden dieses Verbandes. Ebenso war er Vorstandsmitglied der Zentralfachschule der Deutschen Süßwarenindustrie und etablierte ab 1951 mit die staatlich anerkannte Ausbildung zur Fachkraft für Süßwarentechnik. An der Gründung der europäischen Vereinigung der Süßwarenindustrie in der EG war er auch beteiligt. Ferner war Wildhagen Vertreter der Arbeitgeber bei der Landesversicherungsanstalt Unterfranken.

Höhepunkt des kommunalpolitischen Wirkens war seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Kitzinger Oberbürgermeister vom 5. Juli 1948 bis zum 30. März 1952. Wildhagen, Gründungsmitglied der Kitzinger CSU, wurde mit der größten Stimmenanzahl in den Stadtrat gewählt, dieser wiederum bestimmte ihn einstimmig zum Oberbürgermeister. Seine Amtszeit begann kurz vor der Währungsreform auf dem Höhepunkt der existenziellen Not der Bevölkerung. Der aufgeschlossene und stets hilfsbereite Unternehmer mit politischen Ambitionen trug einen wesentlichen Anteil am Wiederaufbau der schwer kriegszerstörten Stadt, und dies, ohne dafür entlohnt zu werden.
Die außerordentlichen Leistungen, die Wildhagen neben seiner Berufstätigkeit seit vielen Jahren mit großem Idealismus und zum Wohl der Allgemeinheit vollbracht hat, erhielten am 27. Juli 1955 vom Staat die gebührende Würdigung. Regierungspräsident Dr. Hölzl überreichte ihm das Verdienstkreuz zum Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Ein Jahr später zog sich Richard Wildhagen jedoch ganz aus der Politik zurück, was allgemein sehr bedauert wurde. Vom stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Rudolf Eberhard erhielt er im September 1963 bei einer Feierstunde in München das Große Bundesverdienstkreuz, den höchsten Orden, den ein Staat zu vergeben hat.

Richard Wildhagen starb am 20. August 1981 im hohen Alter von 90 Jahren.

August Wildhagen (1856 - 1932)

August Carl Theodor Wildhagen wurde am 18. Oktober 1856 in Rübeland am Brocken (Landkreis Harz) geboren und absolvierte nach seiner Schulzeit eine Lehre in den Harzer Eisenwerken. Er zog im Jahr 1884 nach Kitzingen, zuerst Wörthstraße 816/818 (Wörthstraße 25), dann Mühlbergstraße 1, und gründete gemeinsam mit seinem Schwiegervater, dem Bankier Kommerzienrat Georg Bachmann, am 25. August 1884 die Firma A. Wildhagen u. Co., die den Vertrieb der „Feinen Schweizer Bonbons“ der Firma Klaus für ganz Deutschland auf eigene Rechnung übernahm. Drei Jahre später erwarben die Brüder ein eigenes Fabrikanwesen in Kitzingen, in dem sie die bis zu diesem Zeitpunkt nur in der Schweiz hergestellten Bonbons selbst produzierten. 1905 gründete er mit seinem Bruder Hermann die Pfirschinger Mineralwerke, die als erste deutsche Fabrik Bleicherde für Öle und Fette herstellte.

 

Das Bürgerrecht der Stadt Kitzingen erwarb August Wildhagen am 3. Mai 1900. Am 12. Mai 1911 wurde er mit dem ehrenvollen Titel Kommerzienrat ausgezeichnet. In dem von Bürgermeister Ludwig Graff formulierten Antrag an die Kgl. Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg heißt es:

Herr August Wildhagen betreibt mit seinem Bruder Hermann dahier eine Confisseriewarenfabrik, welche seit Jahren in vollster Blüte steht und für die hiesige Bevölkerung von großem Segen ist. Es werden in dieser Fabrik außer eigentlichen Confisseriewaren auch Mentholpastillen gefertigt. Diese Fabrikation verpflanzte Herr August Wildhagen von der Schweiz nach Bayern. Außerdem haben die Herren August und Hermann Wildhagen dahier eine vollständig neue Fabrikation durch die Erbauung der sogenannten Pfirschinger Mineralwerke errichtet. Durch diese Werke gewinnt die Firma in Niederbayern in der Gemeinde Pfirsching, Bezirksamt Eggenfelden, Erde, welche in der hiesigen Fabrik chemisch verarbeitet wird und zur Reinigung von Ölen und anderen Zwecken dient. Diese Produkte finden hauptsächlich im Ausland großen Absatz. Im Ganzen wird die Firma circa 210 bis 220 Arbeiter pro Jahr beschäftigen.
In gemeinnütziger Weise ist Herr August Wildhagen vielfach hervorgetreten. So stiftete er im vorigen Jahr 5000 Mark für ein hier zu errichtendes Volksbad, weitere 3000 Mark hat derselbe zum Betrieb desselben in Aussicht gestellt und weiter hat derselbe den Vorstand des Magistrats ermächtigt, den in Privatbesitz befindlichen Winterhafen am Main auf seine Kosten für die Stadt anzukaufen, um die Mainschifffahrt an hiesigem Ort wieder zu heben. Als Vorstand des Männervereins des roten Kreuzes entfaltet er eine ersprießliche Tätigkeit für das rote Kreuz, und endlich erwarb er sich ganz besondere Verdienste als Geflügelzüchter und Sachverständiger in Geflügelzuchtangelegenheiten. Im Auftrag des Deutschen Reiches veranstaltete er, wie wir unterrichtet sind, mit großem Erfolg die deutsche Geflügelausstellung in Brüssel auf der Weltausstellung. Erst vor kurzem arbeitete er im Auftrag des deutschen Kolonialamtes ein Gutachten über die Geflügelzucht in den deutschen Kolonien aus, machte schon mehrfach Entwürfe von Geflügelzuchtanstalten größeren Stils, die in der Fachpresse und seitens der staatlichen Behörden oftmals Anerkennung fanden. Er wurde für diese Tätigkeit mit preußischen und ausländischen (russischen, spanischen und belgischen) Orden ausgezeichnet.

Diese weitverzweigte industrielle und gemeinnützige Tätigkeit möchte Herrn August Wildhagen einer allerhöchsten Auszeichnung würdig erscheinen lassen.“

Kommerzienrat August Wildhagen war Vorsitzender der Kitzinger Ortsgruppe des Bayerischen Kanal- und Schifffahrtsvereins, Förderer der Mainkanalisation, des Flugsports, der Geflügelzucht (Wildhagen zählte zu den führenden deutschen Rassegeflügelzüchtern), des Luitpoldbades sowie der Sanitätskolonne und des Roten Kreuzes, für deren Kriegslazarett er eine namhafte Spende von 10.000 Mark geleistet sowie mehrere Krankenwägen geschenkt hat. Seine soziale Kompetenz war sehr hoch und er hatte stets eine offene Hand für die Armen und Benachteiligten, unterstützte nach Kräften verschiedene Wohlfahrtsorganisationen. So spendete er nach Kriegsende 1920 eine beträchtliche Geldsumme für den Bau neuer Wohnungen für Notleidende.

 Familienarchiv Kurt Wildhagen

Auch politisch war August Wildhagen interessiert und engagiert. Als Vertreter einer überparteilichen Vereinigung aller wirtschaftlichen Gruppen Kitzingens, die sich den Namen „Bürgerblock“ gegeben hatte, wurde er am 7. Dezember 1924 in den Stadtrat gewählt, wo er bis zu seinem Tod am 25. Dezember 1932 eine wichtige Rolle spielte. In seinem Nachruf hieß es: „Mit August Wildhagen ging ein echt deutscher Mann von altem Schrot und Korn. Sein Leben war Dienst an seinem Volke – dafür wird ihm der Dank sein, auch über das Grab hinaus.“ Wildhagen fand am alten Friedhof in Kitzingen seine letzte Ruhe. Mit ihm verlor Kitzingen eine seiner markantesten Persönlichkeiten.

Hermann Wildhagen (1885 - 1944)

Der seit dem 1. August 1885 in der Bahnhofstraße 15 wohnende Kaufmann Hermann Wildhagen (geb. 15.7.1855 in Rübeland, Ortschaft der Stadt Oberharz am Brocken im Landkreis Harz, verheiratet mit Elise Kochermann, gest. am 1.11.1944 in Kitzingen) beantragte am 23. Oktober 1890 das Bürgerrecht der Stadt Kitzingen. Da sein Geburtsort im Herzogtum Braunschweig lag, wurde ihm dieses vorbehaltlich der vorherigen Erwerbung der bayerischen Staatsbürgerschaft am 7. November 1890 verliehen.
Wildhagen, Bruder des Bonbonfabrikanten August Wildhagen, war Mitglied der „Liberalen Vereinigung“ und wurde 1908 zum Gemeindebevollmächtigten gewählt, vom 22.12.1914 bis zur nächsten Kommunalwahl am 15. Juni 1919 gehörte er dem Stadtmagistrat Kitzingen an. Er unterstützte finanziell den Wohltätigkeitsverein, setzte sich stark für die Wiederherstellung einer Motorwagen-Verbindung zwischen Kitzingen und Marktbreit sowie für die Gründung einer Volksbibliothek (1905) ein. Als erster Schützenmeister organisierte er die 500-Jahrfeier der Kgl.-Priv. Schützengesellschaft im Jahr 1908.
Zudem war er seit 1903 Vorstandsmitglied der „Vereinigung Deutscher Zuckerwaren- und Schokolade-Fabrikanten e.V.“ und seit 1911 deren 1. Vorsitzender, 1922 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Wildhagen führte den Verband und seine beiden Betriebe erfolgreich durch zahlreiche Krisenjahre, durch den Weltkrieg, die Zwangswirtschaft und Inflation. In dieser Zeit haben sich seine Führungsstärke und sein Weitblick ganz besonders bewährt.

Wildhagen war zudem Mitbegründer und langjähriger Vorstandsvorsitzender der Einkaufsgenossenschaft für die Süßwaren-Industrie (Egesie), in der sein schon vor dem Krieg praktizierter Gedanke des gemeinsamen Einkaufes auf breiter Basis seine Verwirklichung fand und zu einer für alle gewinnbringenden Einrichtung wurde. Besondere Verdienste hat er sich ferner um die Gründung des Reichsbundes der Deutschen Süßwaren-Industrie, der Dachorganisation des Verbandes deutscher Schokoladen-Fabrikanten und der Vereinigung Deutscher Zuckerwaren- und Schokolade-Fabrikanten in Würzburg erworben.
Ebenso wie seinem jüngeren Bruder August wurde Hermann Wildhagen im Jahr 1912 der Titel Kommerzienrat verliehen.

 Familienarchiv Kurt Wildhagen

Als Begründung schrieb der damalige Bürgermeister Ludwig Graff folgendes:

Herr Hermann Wildhagen betreibt mit seinem Bruder August Wildhagen dahier eine Confisseriewarenfabrik, welche seit Jahren in vollster Blüte steht und für die hiesige Bevölkerung von großem Segen ist. Es werden in dieser Fabrik außer eigentlichen Confisseriewaren auch Mentholpastillen gefertigt. Diese Fabrikation verpflanzten die Inhaber von der Schweiz nach Bayern. Außerdem haben die Inhaber des Geschäfts dahier eine vollständig neue Fabrikation durch die Erbauung der sogenannten Pfirschinger Mineralwerke errichtet. Durch diese Werke gewinnt die Firma in Niederbayern in der Gemeinde Pfirsching, Bezirksamt Eggenfelden, Erde, welche in der hiesigen Fabrik chemisch verarbeitet wird und zur Reinigung von Ölen und anderen Zwecken dient. Diese Produkte finden hauptsächlich im Auslande großen Absatz.
In gemeinnütziger Weise hat Herr Hermann Wildhagen sich gleichfalls schon in hervorragender Weise betätigt. So stiftete er im vergangenen Jahre für ein Volksbad 10.000 Mark, im heurigen Jahre zum gleichen Zweck weitere 5.000 Mark. Mit seinem Bruder zusammen insgesamt die Summe von 27.000 Mark.

Hermann Wildhagen gehört dem hiesigen Gemeindebevollmächtigtenkollegium an und entfaltet als Gemeindebevollmächtigter eine auf das Gemeinwohl stets bedachte Tätigkeit, die sich vor allem durch Weitblick und Objektivität auszeichnet. Herr Hermann Wildhagen ist durch die Unterstützung sonstiger gemeinnütziger Zwecke, so der Volksbücherei, des Verschönerungsvereins und des Pferdeversicherungsvereins, dessen Vorstand er lange Jahre ist, mit der Bevölkerung verwachsen und allgemein beliebt.

Es dürfte somit die Bitte gerechtfertigt erscheinen, an Allerhöchster Stelle Herrn Hermann Wildhagen zur Auszeichnung in Vorschlag zu bringen.

Derselbe hat stets eine loyale Gesinnung an den Tag gelegt und ist königs- und reichstreu.

Im vergangenen Jahr wurde dem Bruder des Hermann Wildhagen gleichfalls die allerhöchste Auszeichnung eines kgl. Kommerzienrates zu Teil. Es wäre nun eine von Seiner Königlichen Hoheit Prinz-Regent-Luitpold sicherlich nicht gewünschte Härte, wenn Hermann Wildhagen, der gleich tüchtig, rechtschaffen und unermüdlich fleißig wie sein Bruder ist nicht derselben Allerhöchsten Auszeichnung teilhaftig würde. Seitens der gesamten hiesigen Bevölkerung würde die angeregte Allerhöchste Auszeichnung dieses beliebten Bürgers mit Freude begrüßt werden.“

Bonbonfabrik A. Wildhagen – Kurzer historischer Abriss

Den Grundstein für das Wohnhaus, die Mühle und das Kesselhaus der späteren Bonbonfabrik Wildhagen in der Glauber- und Kanzler-Stürtzel-Straße legte der Krefelder Seidenfabrikant Heinrich Metzges (1821-1883), der am 16. April 1849 in Kitzingen Maria Emma Sander, ein Spross der bekannten Kitzinger Weinhändlerfamilie Sander, heiratete. Bereits 1853 und 1855 bat er den Stadtmagistrat um Genehmigung zur Errichtung einer Dampfmühle. Da jedoch die städtische Mühle am Main zu diesem Zeitpunkt noch existierte, wurden beide Gesuche abgelehnt. Die alte Mainmühle sollte allerdings wegen Behinderung der Schifffahrt abgerissen werden. Nachdem die Frage der Entschädigung zwischen der Stadt Kitzingen und dem bayerischen Fiskus geklärt war, hatte Metzges mit einem dritten Antrag vom 1. April 1857 auf Erteilung einer persönlichen Konzession schließlich Erfolg. Noch während Stadt und Fiskus prozessierten, fasste Metzges jedoch den Entschluss, seine Dampfmühle in Stadtnähe zu errichten und auf den Erwerb der Mainmühle zu verzichten.

Seine unternehmerischen Visionen gingen jedoch weiter. Noch während des Baus der Dampfmühle gestattete ihm der Kitzinger Magistrat am 22. März 1858 die Errichtung einer Sägemühle bei der Dampfmühle, deren Kessel noch im gleichen Jahr als zweiter in Kitzingen in Betrieb genommen wurde. 1864 errichtete er eine Brotfabrik, 1868 führte er die Gasbeleuchtung in seinen Betrieben ein, 1869 erbaute er sein Wohnhaus mit dem prägnanten, stufenartigem Giebel an der Ecke Glauberstraße/Kanzler-Stürtzel-Straße, 1875 folgte die Aufstellung eines zweiten Dampfkessels und schließlich 1877 die Errichtung einer Zementbrennerei.

 Stadtarchiv Kitzingen

Der ungewöhnlich unternehmungslustige Mann starb am 5. August 1883. Sein Name ist unmittelbar mit dem Beginn der Industrialisierung in Kitzingen verbunden. Nach seinem Tod ging der Betrieb an den Bankier Kommerzienrat Georg Bachmann über, den Schwiegervater von August Wildhagen.

Bachmann gründete zusammen mit August Wildhagen am 25. August 1884 die „Chocoladefabrik Wildhagen A. & Cie.“, die unter der Adresse Bahnhofstraße 848 (seit 1900 Bahnhofstraße 11) zu finden war. Diese Anschrift war identisch mit der des „Bank- und Wechselgeschäfts“ von Bachmann. Wildhagen übernahm zunächst für die Schweizer Bonbonfabrik Jacques Klaus in Locle den Generalvertrieb für Deutschland und Luxemburg und importierte die Schweizer Zuckerwaren aus der Fabrik des damals jungen Stammhauses, was bahnbrechend für die qualitative Verbesserung der deutschen Zuckerwaren war, da die Bonbons damals ohne Fruchtgeschmack oder Fruchtsäure waren.

Nach dem 1886 erfolgten Rückzug von Georg Bachmann aus der Firmenleitung trat Hermann Wildhagen an dessen Stelle, der bereits seit 1. August 1885 Teilhaber war. Die beiden Brüder riefen die „Confiseriewarenfabrik A. Wildhagen & Co.“ in der Dampfmühlstraße 816/818 (seit 1900 Wörthstraße 25, nach dem 1902 begonnenen Ausbau der Kanzler-Stürtzel-Straße: Kanzler-Stürtzel Straße 2/2a) als offene Handelsgesellschaft ins Leben und begannen im Herbst 1887 mit der eigenen Produktion von Bonbons unter den bekannten Rezepturen des Schweizers Jacques Klaus. Dafür errichteten sie in den Nebenräumen der Dampfmühle eine neue Fabrik. Zwei Jahre später übernahmen die Wildhagens auch den Betrieb der Dampfmühle selbst, die jetzt nicht mehr als Getreidemühle betrieben wurde, sondern zum Mahlen von Tonerde für die von ihnen 1905 gegründeten Pfirschinger Mineralwerke Verwendung fand. Das Besondere an der Produktion der Bonbons war damals der Vakuum-Kochbetrieb. Diese Technik erlaubte eine höhere Produktivität und feinere Produkte als die herkömmliche Fabrikation.

 

Harte Schicksalsschläge trafen das Unternehmen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. So wurden die Pfirschinger Mineralwerke beim Bombenangriff auf Kitzingen am 23. Februar 1945 vollständig zerstört. An die 100 Bomben vernichteten die Gebäude und Anlagen der Mineralwerke nördlich der Nürnberger Eisenbahnbrücke, es entstand ein Sachschaden in Höhe von knapp einer Million Mark. Die Bonbonfabrik und das Wohnhaus wurden beim Einzug der Amerikaner besetzt, in dem Verwaltungsgebäude hatte der Kreisresident-Officer seinen Amtssitz, hier urteilte auch das amerikanische Militärgericht, und im größten Fabrikraum war die „Commissary“ für die amerikanische Besatzung untergebracht. Eine Doppeltreppe wurde an der Außenfront am Main errichtet und von früh bis spät in die Nacht wurden hier die Verpflegungsgüter der amerikanischen Armee abgeholt.

Erst nach schwierigen, jahrelangen Verhandlungen gelang es Wildhagen 1949, wesentliche Teile seiner Fabrik wieder frei zu bekommen. Ausschlaggebend war dabei, dass die Firma auf eigene Kosten an der Kanzler-Stürtzel-Straße gegenüber ihrem Fabrikgebäude eine große Baracke zur Entlastung des amerikanischen Warenlagers in der Fabrik errichtete. So konnte die Fabrikation am 1. Juli 1949 in kleinerem Umfang wieder aufgenommen werden.
Ein Teilbetrieb der Pfirschinger Mineralwerke konnte 1950 ebenfalls wieder mit der Produktion beginnen. Zu diesem Zeitpunkt führte Richard Wildhagen, der nach dem Tod seines Onkels und Firmengründers August Wildhagen 1932 als alleiniger Besitzer fungierte, die Amtsgeschäfte als ehrenamtlicher Oberbürgermeister Kitzingens und richtete seine ganze Energie und Leidenschaft auf den Wiederaufbau der kriegszerstörten Stadt. Sicherlich wurde so in den entscheidenden Nachkriegsjahren hinsichtlich des Neubeginns und der Produktionsaufnahme der Bonbonfabrik manches versäumt. Als dann 1953, also nach achtjähriger Beschlagnahme, der Betrieb wieder vollständig aufgenommen und modernisiert wurde, war es eigentlich schon zu spät. Die Firma hatte mittlerweile ihre in- und ausländische Kundschaft sowie ihre Geschäftspartner verloren und bewährte Arbeitskräfte standen auch nicht mehr zur Verfügung. Der Anschluss war endgültig verpasst.
Seit dem Jahr 1960 suchte und fand Wildhagen zwar Auswege, die über verschiedene auswärtige Firmen führten, aber die Lage insgesamt nicht mehr retten konnten. So verkaufte er 1960 das Geschäft an Horst Bentz, den damaligen Eigentümer der Melitta Unternehmensgruppe, aber bereits drei Jahre später wurde es weiterverkauft an die August Storck KG, bis Ende des Jahres 1969 die Produktion ganz eingestellt werden musste. Richard Wildhagen zog sich als Privatier zurück und sein Sohn Hasso übernahm in Saarbrücken die Stelle eines Direktors einer großen Süßwarenfirma. Die Pfirschinger Mineralwerke stellten 1971 ihren Betrieb ein.

 

Bis zur Geschäftsaufgabe genossen die Bonbons von Wildhagen einen ausgezeichneten Ruf, nicht nur in Europa, sondern auch in Übersee. In den großen Zeiten der Firma Wildhagen wurden die natürlichen Marmeladen für die Füllungen der Wildhagen-Bonbons täglich zentnerweise verarbeitet. Die Herstellungsmenge der Bonbons pro Tag betrug 4.250 Kilo. In originellen und modernen Geschenkpackungen gingen die sorgsam eingewickelten Bonbons, die Rednerpastillen oder die Lingua-Mentholbonbons in alle Welt. Wildhagens Säuerlinge waren in beiden Weltkriegen, vor allem im Zweiten Weltkrieg, als Vitamindrops an allen Fronten bekannt und standen damit auf gleicher Ebene mit den Bärenlebkuchen der Firma Gebr. Schmidt in Mainbernheim und dem Araunerschen Kunsthonig aus Kitzingen.

Die 1914 in der Mühlbergstraße 1 von August Wildhagen im neubarocken Stil erbaute schlossähnliche Villa Wildhagen mit ihrem fast 4.000 Quadratmeter großen Park und einem idyllischen Gartenteich mit Wasserfontäne, die seit den 1930er Jahren an die Stadt Kitzingen verkauft war, sollte 1973 einem Neubau für ein Altenheim mit Altenclub und Tiefgaragen weichen, für den das Evangelische Siedlungswerk verantwortlich zeichnen wollte. Auch der Kitzinger Stadtrat befürwortete diese Maßnahme, lediglich der Kulturkreis der Stadt Kitzingen sprach sich für den Erhalt dieses prächtigen Anwesens aus und forderte die zukünftigen Besitzer auf, das mit Stuckdecken ausgestattete Gebäude in die Gesamtanlage zu integrieren, da sich gerade ältere Menschen in so einem Umfeld wohler fühlen würden als in nüchtern-sachlichen Betonkästen. Zum Glück nahm das Evangelische Siedlungswerk bereits Ende 1973 von seinem Vorhaben Abstand, da es zum einen zu teuer war und zum anderen der Bedarf in Kitzingen an Pflegestellen für ältere Menschen als nicht so hoch angesehen wurde.

 

Die weitere Planung seitens der Stadt sah nunmehr den Ausbau der Villa vor, in dem Personalwohnungen und Pflegeeinrichtungen sowie ein Altenzentrum untergebracht werden sollten. Lediglich für die älteren Bewohner waren neue Anbauten vorgesehen. Am 11. November 1976 verkaufte die Stadt Kitzingen schließlich das gesamte Anwesen Mühlbergstraße 1 mit Park und Nebenanlagen an das Diakonische Werk Kitzingen e.V. zur Errichtung von Altenwohnungen für 800.000 DM. 1986 wurde das Alten- und Pflegeheim gründlich saniert und erhielt einen modernen Erweiterungsbau. Heute befindet sich in der schönen herrschaftlichen Villa und ihrem Anbau das Altenpflegeheim „Haus Mainblick“ der Diakonie.

Die übrigen Liegenschaften der ehemaligen Bonbonfabrik in der Glauberstraße gingen im April des Jahres 1973 an das Modehaus „Jakob Heyer“ über. Heyer betrieb in Dettelbach ein kaufhausähnliches Unternehmen mit dem Schwerpunkt auf dem Textilmarkt, in dem er günstige Textilien und Sonderposten zu Schnäppchenpreisen verkaufte. Bis Weihnachten 1973 sollten eigentlich die Umbauarbeiten beendet und das Geschäft eröffnet sein, jedoch konnte Heyer seine Pläne in Kitzingen nicht verwirklichen. Der 34 Meter hohe Kamin der Fabrik wird dennoch am 10. April 1974 gesprengt. In den folgenden Jahren betrieb die Schilder- und Stempelfabrik „Astorga Fritz Lange GmbH“ hier ihr Geschäft, bis sowohl das Wohnhaus als auch Teile des ehemaligen Fabrikationsgebäudes der Firma Wildhagen (rund 1000 Quadratmeter) im Sommer 1984 vom damaligen Eigentümer Kurt Stellwag aus Würzburg der Stadt Kitzingen zum Kauf angeboten werden. Im Interesse einer Verbesserung der Verkehrsverhältnisse an der Einmündung Kanzler-Stürtzel-Straße/Glauberstraße nahm die Stadt Verkaufsverhandlungen auf, um den angebotenen Grundstückskomplex zum Abbruch käuflich zu erwerben. Am 30. Oktober 1984 fiel der Beschluss für den Kauf des ganzen Komplexes. Uneinigkeit herrschte jedoch noch bezüglich des Abrisses und der Notwenigkeit einer Begradigung der Glauberstraße an dieser Kreuzungsstelle.

 

Schließlich entschied sich der Kitzinger Stadtrat in seiner Sitzung vom 23. November 1989, das der Stadt gehörende Wohnhaus in der Kanzler-Stürtzel-Straße 2 zu sanieren und darin sechs Wohnungen einzurichten.

Auch in dem an das Wohnhaus angrenzenden Mühlengebäude sollten neue Wohnungen entstehen. Darüber hinaus beabsichtigte der Bauträger „Wohnbau Schenkel“ des ehemaligen Firmengeländes an der Glauberstraße, die Gebäude der alten Bonbonfabrik abzureißen und hier neue Wohnhäuser zu erbauen. In Jahren 1991/1992 entstand an dieser Stelle die Wohnanlage „Mainaue“.

Quellen:

  • Akt des Stadtmagistrats Kitzingen: I/A/8/02: Ordensdekorationen und Ehrenzeichen, 1871 – 1904.
  • Akt des Stadtmagistrats Kitzingen: I/A/8/22: Auszeichnungen, 1905 – 1914.
  • Bürgerrechtsakten: Nr. 210: Wildhagen, Hermann Julius, 1893. Nr. 227: Wildhagen, August, Fabrikant, 1900. Nr. 308: Wildhagen, Richard, Kaufmann, 1914.
  • Ratsprotokolle seit 1945
  • Falkenstein, Stephanie: Die Wildhagenvilla.

Ein Beitrag zur Wohn- und Lebenskultur der Gründerzeit in Kitzingen.

Schriftenreihe des Städtischen Museums Kitzingen Band 11, Kitzingen 2016.

 

 

Doris Badel